Zeitzeuge über den Volksaufstand am 17. Juni

Am 17. Juni 1953 mündeten Streiks und Demonstrationen in einem “Volksaufstand” in der DDR. Im Jahr 1993 gab Heinz-Kliem, der an jenem Tag als Bauarbeiter an der Berliner Stalin-Allee tätig war, ein Zeitzeugen-Interview. Daraus ging hervor, wie die Ereignisse ihren Lauf nahmen und vom sowjetischen Militär niedergeschlagen wurden:

Die allgemeine Versorgungslage war miserabel. Da hat sich natürlich etwas aufgestaut. Der Bauarbeiter war mit der Situation […] unzufrieden. Aus diesem Grunde wurden dann auch am 15. Juni 1953, abends, so um zirka 15/16 Uhr, die Leute auf unserer Baustelle zusammengetrommelt. […]

Wir sind dann [am 16. Juni] mit unserer Berufskleidung die Straße langgegangen. […] Wir bewegten uns dann gemeinsam in Richtung Stalinallee. Berlin war eine große Baustelle. Zumindest in dem Bereich Stalinallee waren überall auf den Gerüsten und Neubauten Kollegen am Arbeiten. Als wir vorbeizogen, haben wir gerufen: “Kollegen, wir streiken, reiht euch ein. Wir fordern Senkung der Normen und Erhöhung der Löhne.” Die meisten kamen von den Gerüsten und von den Baustellen herunter. Unser Zug war eine riesengroße Gruppe. Das sammelte sich so an und ehe wir uns versahen, waren es einige tausend Demonstranten. […]

In den Nachrichten hat der RIAS abends schon gesagt, dass die Bauarbeiter im Block E-Nord und Fernheizwerk die Arbeit niedergelegt hätten. Das war aber nur eine ganz kurze Meldung. Der RIAS hat das an dem Tag nicht ausgeschlachtet und das hat mich eigentlich gewundert. Hinterher habe ich gewusst, dass eigentlich die ganze DDR in Aufruhr war. Ich habe das von Bekannten vom Stahlwerk Riese erfahren. Die hatten allerdings überwiegend am 17. Juni gestreikt und nicht am 15. und 16. Juni wie die Bauarbeiter. Sie nahmen wahrscheinlich diese kleinen Meldungen zum Anlass, um zu streiken. […]

Im Bereich der Ministerien […] waren nicht nur Bauarbeiter, sondern sehr viele, und ich nehmen an, auch aus den Westsektoren. Das konnte man schon sehen. Damals typisch, dicke Kreppschuhe und ein Igelschnitt. Das waren die, die aus dem Westen kamen. Es gibt immer Leute, die suchen eine Gelegenheit. Die Mehrzahl derer aber, die dort marschiert sind, waren die, die auf die miserable Situation hinweisen wollten. Die wollten vielleicht auch, was der 16. Juni schon gezeigt hat, die Regierung zu stürzen. Sie forderten: “Wir wollen jetzt Demokratie und freie Wahlen”. […] Dann kamen – nach meiner Schätzung zwischen 11 und 12 Uhr – die ersten russischen Lkws mit Soldaten. Die Soldaten sind heruntergesprungen und haben mit Gewehren in die Luft geschossen. […] Alle versuchten jetzt in die Seitenstraßen zu entkommen. Dann kamen auch die Panzer. […] Aber sie sind nicht in die Menschen reingefahren. Die Panzer haben sich eben nur als Militärmacht dargestellt. […] Der Kommandant verhängte den Ausnahmezustand. Wenn mehr als drei Leute auf der Straße zusammenstanden, sollten sie erschossen werden.

Zitiert nach: G. Beier, Wir wollen freie Menschen sein. Der 17. Juni 1953: Bauleute gingen voran, Frankfurt/Main u. Wien 1993, S. 64 ff.

Fabio Schwabe

Der Autor

Dieser Beitrag wurde am 17.01.2018 verfasst von Fabio Schwabe, Mettmann. Die aktuelle Version stammt vom 17.01.2018. Fabio Schwabe ist Gymnasiallehrer der Fachrichtung Geschichte und Gründer von Geschichte kompakt

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