Das Gothaer Programm der Sozialistischen Arbeiterpartei

Die Industrialisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die soziale Lage der Arbeiterschaft deutlich verschlechtert. Es entwickelten sich Debatten um die Soziale Frage. Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands stellte daher im Mai 1875 in Gotha folgende Forderungen auf, die zur Besserung der Lebensbedingungen des Proletariats beitragen sollten:

Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, obgleich zunächst im nationalen Rahmen wirkend, ist sich des internationalen Charakters der Arbeiterbewegung bewusst und entschlossen, alle Pflichten, welche diesselbe den Arbeitern auferlegt, zu erfüllen, um die Verbrüderung der Menschen zur Wahrheit zu machen. Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert, um die Lösung der Sozialen Frage anzubahnen, die Errichtung von sozialistischen Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe unter der demokratischen Kontrolle des arbeitenden Volkes. Die Produktivgenossenschaften sind für Industrie und Ackerbau in solchem Umfange ins Leben zu rufen, dass aus ihnen die sozialistische Organisation der Gesamtarbeit entsteht.

1.) Allgemeines, gleiches, direktes Wahl- und Stimmrecht, mit geheimer und obligatorischer Stimmabgabe aller Staatsangehörigen vom zwanzigsten Lebensjahre an für alle Wahlen und Abstimmungen in Staat und Gemeinde. […]

2.) Direkte Gesetzgebung durch das Volk. Entscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk.

3.) Allgemeine Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere.

4.) Abschaffung aller Ausnahmegesetze, namentlich der Presse-, Vereins- und Versammlungsgesetze; überhaupt aller Gesetze, welche die freie Meinungsäußerung, das freie Forschen und Denken beschränken.

5.) Rechtsprechung durch das Volk. Unentgeltliche Rechtspflege.

6.) Allgemeine und gleiche Volkserziehung durch den Staat. Allgemeine Schulpflicht. Unentgeltlicher Unterricht in allen Bildungsanstalten. Erklärung der Religion zur Privatsache.

Die Sozialistische Arbeiterpartei fordert innerhalb der heutigen Gesellschaft: 1.) Möglichste Ausdehnung der politischen Rechte und Freiheiten im Sinne der obigen Forderungen. 2.) Eine einzige progressive Einkommensteuer für Staat und Gemeinde anstatt aller bestehenden, insbesondere der das Volk belasteten indirekten Steuern. 3.) Unbeschränktes Koalitionsrecht. 4.) Einen den Gesellschaftsbedürfnissen entsprechenden Normalarbeitstag. Verbot der Sonntagsarbeit. 5.) Verbot der Kinderarbeit und aller die Gesundheit und Sittlichkeit schädigenden Frauenarbeit. 6.) Schutzgesetze für Leben und Gesundheit der Arbeiter. Sanitäre Kontrolle der Arbeiterwohnungen. Überwachung der Bergwerke, der Fabrik-, Werkstatt- und Hausindustrie durch von Arbeitern gewählte Beamte. Ein wirksames Haftpflichtgesetz. 7.) Regelung der Gefängnisarbeit. 8.) Volle Selbstverwaltung für alle Arbeitshilfs- und Unterstützungskassen. […]

Auszüge zitiert nach: W. Lautemann, M. Schlenke (Hg.), Das bürgerliche Zeitalter, 1815-1914, München 1980, S. 878 f.

Fabio Schwabe

Der Autor

Dieser Beitrag wurde am 23.02.2016 verfasst von Fabio Schwabe, Mettmann. Die aktuelle Version stammt vom 23.02.2016. Fabio Schwabe ist Gymnasiallehrer der Fachrichtung Geschichte und Gründer von Geschichte kompakt

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