Die Idee der Nation geht auf die Französische Revolution 1789 zurück. Ursprünglich bezog sich der bürgerlich-liberale Begriff “Nation” auf die Freiheit und Unabhängigkeit eines Volks, das sich selbst regiert. Dieser freiheitliche Gedanke der Nation änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – seit Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 vollzog sich der radikale Wandel zum “integralen Nationalismus”, der die eigene Nation über alle anderen stellte und “Minderheiten” ausgrenzte.
Neuer Reichsnationalismus nach 1871
Seit der Reichsgründung 1871 änderte sich das Nationsverständnis grundlegend. Die militärischen Erfolge im Deutsch-Französischen-Krieg und die Gebietseroberungen von Elsass-Lothringen entfachten ein neues Nationalgefühl, das “Macht” und “Überlegenheit” in den Mittelpunkt stellte. Der neue Reichsnationalismus zielte auf eine Einigung im Inneren – der Identifikation mit der deutschen Nation und dem Kaiser. Es entstanden vielerorts nationale Denkmäler, die den Mythos einer langen deutschen Tradition illustrieren sollten – so wurde nach 1871 eine historische Verbindung zwischen Kaiser Wilhelm I. und dem antiken Germanenführer Arminius künstlich hergestellt.1
“Reichsfeinde” im Kaiserreich
Um die innere Nationsbildung im Kaiserreich zu bewerkstelligen, wurden bestimmte Gruppierungen durch Bismarcks Innenpolitik als “Reichsfeinde” deklariert und ausgegrenzt. Bismarck richtete sich im sogenannten “Kulturkampf” gegen die katholische Kirche und die sie vertretende Zentrumspartei. Nach seinem Kurswechsel im Jahr 1878 ging Bismarck dann gegen die Sozialdemokraten und die Arbeiterbewegung vor, indem er ihre Aktivitäten mit dem “Sozialistengesetz” einschränkte. Eine innere Nationsbildung erreichte Bismarck dadurch allerdings nicht – seine Innenpolitik führte vielmehr zur gesellschaftlichen Spaltung. Die Zentrumspartei und Sozialdemokratie gingen sogar gestärkt aus diesen Konflikten hervor, da sie ihr Zusammengehörigkeitsgefühl verstärkten.2
“Integraler Nationalismus”
Seit Bismarcks “konservativer Wende” 1878/79 entwickelte sich der Reichsnationalismus zu einer rechten Ideologie – völkisch, antisemitisch und expansionistisch ausgelegt. Sie wird ferner als “integraler Nationalismus” bezeichnet, weil der Nationsbegriff dem Individuum immer stärker übergeordnet wurde. Seit den 1880er Jahren entstanden im Kaiserreich völkisch-nationale Vereine, die diese radikale Form des Nationalismus verherrlichten und zum politischen Programm machten. Dazu zählen unter anderem der “Alldeutsche Verband“oder die “Deutsche Kolonialgesellschaft“. Ihre Anhänger befürworteten den Erwerb von Kolonien in Afrika und begeisterten sich für Deutschlands Aufstieg zur imperialen Weltmacht [Quellen]. Eng verbunden mit diesem Anspruch war die Ideologie des Sozialdarwinismus und Antisemitismus. Der deutsche Nationalismus erschuf neue Feindbilder und mündete während der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. in einer expansionistischen Kolonialpolitik – eine der Ursachen für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914.3