Clara Zetkins Rede zum Frauenwahlrecht 1907

Clara Zetkin war im Deutschen Kaiserreich die Publizistin der Frauenzeitschrift “Die Gleichheit” und Politikerin der SPD. Sie gilt wegen ihrer vielen Auftritte als herausragende Vertreterin der politischen Frauenbewegung um 1900. Im Jahr 1907 hielt sie auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart eine berühmte Rede zum Frauenwahlrecht:

Die sozialistischen Frauen werten das Frauenstimmrecht nicht als die Frage der Fragen, deren Lösung all die sozialen Hemmnisse beseitigt, welche für die freie, harmonische Lebensentwicklung und Lebensbetätigung des weiblichen Geschlechts bestehen. Denn es rührt nicht an die tiefste Ursache derselben: an das Privateigentum, in welchem die Ausbeutung und Unterdrückung eines Menschen durch einen anderen Menschen wurzelt. Das zeigt schon ein Blick auf die Lage der politisch emanzipierten, aber sozial unfreien und ausgebeuteten männlichen Proletarier. […]

Die Zuerkennung des Wahlrechts an das weibliche Geschlecht hebt nicht den Klassengegensatz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten auf, aus dem die schwersten sozialen Hindernisse für die freie Entfaltung und das harmonische Ausleben der Proletarierinnen erwachsen. Sie beseitigt aber auch nicht die Konflikte, welche aus den sozialen Gegensätzen zwischen Mann und Weib in der kapitalistischen Ordnung für die Frau als Angehörige ihres Geschlechts entstehen. Umgekehrt: die volle politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts bereitet den Boden, auf dem diese Konflikte sich zu ihrer vollen Schärfe auswachsen können, Konflikte verschiedener Art, deren weittragendster und schmerzensreichster der ist zwischen beruflicher Arbeit und Mutterschaft. Für uns Sozialisten kann daher das Frauenwahlrecht nicht wie für die bürgerlichen Frauen “das Endziel” sein. Wir schätzen aber seine Eroberung als eine Etappe, aufs innigste zu wünschen im Kampfe um unser Endziel.

Das Wahlrecht hilft den bürgerlichen Frauen die Schranken niederreißen, die in Gestalt der Vorrechte des männlichen Geschlechts ihnen Bildungs- und Tätigkeitsmöglichkeit einengen. Es rüstet die Proletarierinnen in dem Kampfe, den sie für Erringung vollen Menschentums gegen Klassenausbeutung und Klassenherrschaft führen. Es befähigt sie in höherem Maße als bisher teilzunehmen an dem Kampfe für die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat zum Zwecke der Ueberwindung der kapitalistischen und zur Aufrichtung der sozialistischen Ordnung, in der allein die Frauenfrage ihre Lösung findet. […]

Zitiert nach: Zetkin Clara, Das Frauenstimmrecht, in: Internationaler Sozialisten-Kongreß zu Stuttgart, 18. bis 24. August 1907, Berlin, 1907, S. 40-48.

Fabio Schwabe

Der Autor

Dieser Beitrag wurde am 09.10.2020 verfasst von Fabio Schwabe, Mettmann. Die aktuelle Version stammt vom 09.10.2020. Fabio Schwabe ist Gymnasiallehrer der Fachrichtung Geschichte und Gründer von Geschichte kompakt

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