Im Jahr 1903 wurde folgender Bericht über das Leben polnischer Werkswohnungen im Ruhrgebiet veröffentlicht:
Von den polnischen Einwanderern sind mindestens 60% in den Kolonen dem ständigen Verkehr mit den Eingesessenen entzogen. In meiner Nähe liegen große Kolonien mit vielen Hundert Haushaltungen. Wer sich davon überzeugen will, gehe hin; er wird glauben, in “Großpolen” zu sein. Nicht nur die Erwachsenen, auch die Kinder auf der Straße sprechen Polnisch. Diese ausgedehnten Werkskolonien sind also polnische Enklaven auf deutschem Boden. Die Werksverwaltungen kennen diese Entwicklungen natürlich sehr gut, tun aber nichts zur Abhilfe […].
Die Werke haben in den Kolonien Aufsichtsbeamte eingestellt, die für Ordnung sorgen sollen, sich aber hier und da zu Vögten auswuchsen. Da gibt es Kolonialvögte, die eifrig bestrebt sind, die Werkshäuser “rein” zu halten von “umstürzlerischen” Gesellen. Es wird den Einwohnern direkt nahegelegt, nur unternehmerfreundliche Blätter zu lesen, nur in ditto Vereinen zu sein. Da nun aber dieselben Blätter und Vereine es für ihre Pflicht halten, “alldeutsche Gesinnung” zu verbreiten, so ist naturgemäß der Pole nicht dafür zu haben. Nun wird unter der Hand obskurste polnisch-klerikale Literatur verbreitet; den polnischen Arbeitern und Kolonialbewohnern ist der Umgang mit frei gesinnten Kollegen erschwert, manchmal wird das Umtragen von Arbeiterzeitungen sogar direkt verboten.
Zitiert nach: Christoph Kleßmann, Der Zug nach Westen – Polen im Ruhrgebiet; in: Kursbuch 62, Berlin 1980, S. 64.