In der Zeit des Kaiserreichs blühte das Ruhrgebiet aufgrund seiner reichen Bodenschätze als Industriezentrum auf. Um den Fachkräftemangel zu kompensieren, warb die Zeche “Victor” (bei Rauxel im Ruhrgebiet) im Jahr 1908 um Arbeitskräfte aus dem ostpreußischen Masuren:
Masuren! In rein ländlicher Gegend, umgeben von Feldern, Wiesen und Wäldern, den Vorbedingungen guter Luft, liegt, ganz wie ein masurisches Dorf, abseits vom großen Getriebe des westfälischen Industriebezirkes, eine reizende, ganz neu erbaute Kolonie der Zeche “Victor” bei Rauxel. Diese Kolonie besteht vorläufig aus über 40 Häusern. In jedem Hause sind nur vier Wohnungen, zwei oben, zwei unten. In jede Wohnung gehören etwa drei bis vier Zimmer. Jedes Zimmer, sowohl oben als auch unten, ist also schön groß, hoch und luftig, wie man sie in den Städten des Industriebezirkes kaum findet.
Zu jeder Wohnung gehört ein sehr guter, hoher und trockener Keller, sodass sich die eingelagerten Früchte, Kartoffeln etc. sehr gut erhalten werden. Ferner gehört dazu ein geräumiger Stall, wo sich jeder sein Schwein, seine Ziege oder seine Hühner halten kann. So braucht der Arbeiter nicht jedes Pfund Fleisch oder seinen Liter Milch kaufen. Endlich gehört zu jeder Wohnung auch ein Garten von etwa 23 bis 24 Quadratruten. So kann sich jeder sein Gemüse, sein Kumpst [Sauerkohl] und seine Kartoffeln, die er für den Sommer braucht, selbst ziehen. Wer noch mehr Land braucht, kann es in der Nähe von Bauern billig pachten. Außerdem liefert die Zeche für den Winter Kartoffeln zu billigen Preisen. […] Die ganze Kolonie ist von schönen breiten Straßen durchzogen, Wasserleitung und Kanalisation sind vorhanden. Abends werden die Straßen elektrisch erleuchtet. Vor jedem zweiten Haus ist noch ein Vorgärtchen, in dem man Blumen oder Gemüse ziehen kann. Wer es am schönsten hält, bekommt eine Prämie. […]
Masuren! Es kommt der Zeche hauptsächlich darauf an, brave, ordentliche Familien in diese ganz neue Kolonie hineinzubekommen. Ja, wenn es möglich ist, soll diese Kolonie nur mit masurischen Familien besetzt werden. So bleiben die Masuren ganz unter sich und haben mit Polen, Ostpreußen usw. nichts zu tun. Jeder kann denken, dass er in seiner masurischen Heimat wäre.
Auszüge zitiert nach: Brüggemeier, Franz-Josef: Leben vor Ort. Ruhrbergleute und Ruhrbergbau 1889-1919, München 1983, S. 25-27.